Kollegiale Beratung oder Intervision ist eine kooperative Methode, um Lösungen bei fachlichen Fragen zu finden. Sie stammt ursprünglich aus Bereichen wie der Medizin, der Pädagogik oder der Sozialarbeit und kann hervorragend in der Zusammenarbeit agiler Teams im Berufsalltag eingesetzt werden.
Der Kerngedanke der kollegialen Beratung besteht darin, dass sich gleichgestellte Mitarbeiter:innen oder Führungskräfte gegenseitig beraten, voneinander lernen und lösungsorientiert unterstützen. Keine externen Berater:innen, Vorgesetzte oder Angehörige der Personalabteilung kommen hinzu. Es geht darum, die eigene Beratungsfähigkeit unter Kolleg:innen zu fördern und auszubauen. Kolleg:innen nutzen den Sachverstand und die Erfahrung von Kolleg:innen.
Obwohl diese Methode zum Werkzeugkoffer moderner Teamführung gehört, ist sie vielen Mitarbeitenden nicht bekannt. Da ein bestimmter Ablauf für den Erfolg vorgegeben ist, müssen Beteiligte damit vertraut gemacht werden und Erfahrung sammeln.
Voraussetzung für die Anwendung ist, dass Menschen zusammenkommen, die auf der gleichen Funktions- oder Hierarchieebene ohne Über- oder Unterstellung miteinander arbeiten. Die Beteiligten müssen sich gegenseitig vertrauen und wertschätzen. Insofern kann auch eine Führungskraft teilnehmen, wenn diese im Team als gleichberechtigtes Mitglied anerkannt ist.
Wie läuft eine kollegiale Beratung ab? Wie müsst ihr vorgehen?
Einander gleichgestellte Kolleg:innen eines Teams treffen sich in einem Meeting, um ein konkretes Problem beziehungsweise den Fall einer Kollegin oder eines Kollegen einvernehmlich miteinander zu besprechen.
Nach einem festgelegten Ablauf mit Hilfe bestimmten Fragestellungen versuchen alle Beteiligten einzeln und im Dialog, Antworten und Lösungen für das Problem zu finden und anzubieten. Die Rolle des Beraters oder der Beraterin und des Moderators oder der Moderatorin werden dabei von allen gemeinsam ausgeübt. Zusätzlich werden Rollen an einzelne Personen als Schriftführer:in, Moderator:in und Zeitwächter:in. vergeben. Der:Die Problemstellende wird in der kollegialen Beratung Fallgeber:in genannt.
Die Entscheidung für eine eventuelle Lösung liegt nicht bei euch im Team. Als Kolleg:innen kommuniziert ihr lediglich in euren Rollen als Berater:innen und zeigt aus eurer Sicht mögliche Lösungsszenarien auf. Als Berater*innen müsst ihr bereit dazu sein, den Fall ernst zu nehmen, damit der:die Fallgeber:in sich euch gegenüber öffnen kann. Der:die Fallgeber:in muss den Fall in allen Aspekten auf den Tisch legen und Fragen aufrichtig beantworten.
Was müsst ihr bei der kollegialen Beratung beachten? Was sind Erfolgsfaktoren?
Bezeichnet das Thema grundsätzlich als „Fall“ und nicht als Problem.
Vergebt klare Rollen an Moderator:in, Fallgeber:in, Beratungsteam und Schriftführer:in.
Sprecht offen an, wenn mehrere Betroffene bezüglich des Falls mit im Raum sind.
Klärt die Rolle des Chefs oder der Chefin, wenn er oder sie als Teammitglied anwesend sein darf.
Haltet die Ablaufstruktur ein.
Der Prinzip des Dialogs besteht darin, dass immer nur eine Person redet und ausreden darf.
Seid gute Zuhörer:innen und übt das Zuhören während der Beratung. Ihr seid die Berater:innen.
Haltet die Darstellung eurer Beiträge kurz.
Bearbeitet möglichst nur einen Fall.
Der:die Fallgeber:in bleibt in der Verantwortung d.h. er oder sie entscheidet, wie weiter vorgegangen wird und ist gleichzeitig Auftraggeber:in.
Sprecht in der Beratung bevorzugt über die nächsten Schritte und vermeidet fachliche Debatten.
Geht nicht sofort in die Lösungsfindung.
Sprecht in eurer Beratung über die Zukunft und verwendet in die Zukunft gerichtete Formulierungen.
Jeder Fall steht für sich und hat seine Besonderheiten.
Stellt euch dem Fall, wenn es euch betrifft und verlasst nicht gedanklich das Thema oder den Raum.
Fragt die Spielregeln ab, wenn es zu Konflikten oder Meinungsverschiedenheiten kommt. Es geht um eure Hilfe als kollegiale Berater:innen, nicht um Machtkämpfe oder Streitereien.
Reflektiert gegen Ende. Wie ist es jedem einzelnen bei der Beratung ergangen? Was habt ihr gelernt?
Wie sieht es mit dem Ablauf und organisatorischen Dingen aus?
Organisatorisches:
Rechnet mit einer Dauer von 90 Minuten für das Meeting.
Haltet die Ergebnisse in Stichpunkten auf Flipchart oder Whiteboard fest.
Legt für alle Teilnehmer:innen Notizblöcke und Stifte bereit.
Gebt euch gegenseitig die Gelegenheit, im Meeting anzukommen und konzentriert euch erst danach auf das Thema. Wenn du als Führungskraft mit dabei bist, kannst du das Thema einleiten und deine Rolle klären. Wenn jemandem die Regeln noch nicht bekannt sind, muss es eine Einweisung in das Thema geben. Generell ist es von Vorteil, wenn die Teilnehmer:innen bei jeder kollegialen Beratung erneut auf die Regeln hingewiesen werden.
In den ersten fünf Minuten:
Verteilt die Rollen:
Wer ist Fallgeber:in?
Wer ist Zeitwächter:in?
Wer ist das beratende Team?
Klärt die Visualisierung. Wer schreibt oder malt auf?
In den nächsten zehn Minuten:
Der:die Fallgeber:in schildert den Fall und die Situation mit am Fall Beteiligten, der eigenen Rolle im Fall und einer Erläuterung zu bisherigen Lösungsversuchen. Er oder sie stellt danach eine Frage mit dem konkreten Beratungsauftrag an das Team:
Könnt ihr mir bei meinem Fall helfen?
Was würdet ihr in meinem Fall tun?
Welche Lösungen seht ihr in diesem Fall?
Die übrigen Teilnehmer:innen hören nur zu und machen sich Notizen. Der Fall sollte, wenn möglich, ohne Nennung von Personen und deren Namen geschildert werden. Eine neutrale Erzählweise kann helfen, den Fall objektiver darzustellen: „Ich habe eine:n Kolleg:in, der:die …“.
In den nächsten zehn Minuten:
Das Team stellt Fragen und der:die Fallgeber:in beantwortet diese. Die übrigen Teilnehmer:innen hören zu und machen sich Notizen. Es gibt nur Fragen, noch keine Lösungen. Teilnehmer:innen stellen Verständnisfragen, um zu verstehen. Hier geht es darum, den Fall genau zu verstehen.
In den nächsten fünfzehn Minuten:
Das Team schlägt erste Lösungen vor, der:die Fallgeber:in hört nur zu und macht sich Notizen. Die übrigen Teilnehmer:innen reflektieren und schildern dazu ihre Eindrücke und bilden Hypothesen nach Fragen an sich selbst:
Wie ging es mir beim Zuhören?
Was denke ich darüber?
Was könnte hier wichtig sein?
Die übrigen Teilnehmer:innen hören zu und machen sich weitere Notizen.
In den nächsten fünf Minuten:
Der:die Fallgeber:in reagiert auf das Gehörte und benennt Lösungsvorschläge, die als Treffer in Frage kommen und weiterverfolgt werden sollen. Die übrigen Teilnehmer:innen hören zu und machen sich ergänzende Notizen.
In den nächsten zwanzig Minuten:
Der:die Fallgeber:in hört zu, während die Teilnehmer:innen weitere Verständnisfragen stellen, um die Situation noch besser zu verstehen und weitere Lösungsansätze in den folgenden Fragestellungen miteinander diskutieren:
Was könnte den:die Fallgeber:in einer Lösung näher bringen?
Was könnte die Situation erleichtern oder klären?
In den nächsten fünfzehn Minuten:
Der:die Fallgeber:in fasst die Ideen und Vorschläge der Kolleg:innen zusammen und beschreibt das weitere Vorgehen und die kommenden Schritte. Die übrigen Teilnehmer:innen hören zu.
In den letzten zehn Minuten:
Zum Ende hin geht es um die gemeinsame Auswertung und Raum für die weitere Rückmeldung mit den Fragen:
Was können wir aus diesem Fallbeispiel lernen?
Wie geht es uns jetzt?
Wie gut fühlt sich der:die Fallgeber:in unterstützt?
Wie gut hat dieses Treffen und diese Methode funktioniert?
Die übrigen Teilnehmer:innen hören zu.
Ihr werdet verblüfft sein, wie gut diese Methode funktioniert, wenn ihr euch im Team gegenseitig beratet und Vertrauen schenkt. Jüngere und ältere Teammitglieder:innen profitieren davon. Habt ihr eine ausgewogene Verteilung von Geschlechtern im Team, ist das von Vorteil. Die Sichtweisen sind meist unterschiedlich. Vor allem, wenn jemand für ein Problem keine Lösung findet und sich mit seinen Gedanken im Kreis dreht. Der freie und konzentrierte Blick außenstehender Kolleg:innen zeigt so gut wie immer neue Handlungsalternativen auf.
Danke fürs Lesen, bleibt gesund und Gruß,
Mike Winter
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